Tief durchatmen

Der Mann ist unter der Dusche, gleich fährt er zum Spätdienst. Es ist Mittag und mein Magen knurrt ganz erheblich. Aber während auf mich eine Kürbissuppe aus dem Bioladen im Kühlschrank wartet, habe ich für den Babysohn noch nichts vorbereitet. Ich beschließe, ihn mir auf den Rücken zu binden, damit ich die Hände frei habe und ein bisschen aufräumen kann, während sein Gemüse vor sich hin dünstet. Aber daraus wird nichts.

Wie so oft habe ich meine Probleme mit der Bindetechnik „Einfacher Rucksack“. Das Söhnchen zappelt wie ein Frosch mit allen Vieren und der Tuchbeutel, in dem er sitzen soll, will partout nicht gelingen. Mann ey. Also gut, dann halt in den Ringsling, das klappt immer gut. Aber auch da zappelt und verrenkt er sich so sehr, dass er binnen einer Minute die straffe Bindung fast zerlegt hat. Er beugt sich vor, zerrt an den Ringen, die mir viel zu weit runter gerutscht sind und somit in seiner Reichweite einladend glänzen. Ich fange an zu fluchen. Also raus aus dem Sling und erstmal auf den Arm.

Die Bude sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und Gemüse habe ich auch noch nicht aufgesetzt. Das darf doch nicht wahr sein. Das Baby fuchtelt und zappelt auf meinem Arm herum, haut mir gegen den Kehlkopf, so dass mir die Tränen in die Augen steigen. Er ist seit einigen Tagen sehr unruhig und seit heute wissen wir auch, warum: Der dritte Zahn steht kurz vor dem Durchbruch. Daher auch die anstrengenden Nächte, die meinem Nervenkostüm auch nicht gerade gut tun.

Also gut, dann halt in die Wippe mit dem Söhnchen. Kaum sitzt er drin, fängt er an zu quengeln. Heute ist ein „Arm-Tag“, nur bei mir auf dem Arm ist es OK. Puh. Mit seinem Lieblings-Spielzeug kann ich ihn kurz ablenken und schnippel in Windeseile ein paar Möhren- und Fenchelstücke, die ich in den Dünsteinsatz werfe.

12291262_1505757026420705_9041470576038206982_o
Chaos allenthalben: Noch nicht weit gekommen im „Spielzimmer“ :/

Mein Blick fällt auf die 29 frisch befüllten Marmeladengläser, die in der Küche im Weg stehen und darauf warten, mit Etiketten und Aufhübschung versehen zu werden. Wann soll ich das bloß machen? Der Mann bittet – zu Recht – darum, dass ich meine Steuerunterlagen für 2014 (!) endlich raussuche, damit wir die vor Jahresende noch einreichen können. Aber wo soll ich die finden, in dem Chaos, was vor einigen Monaten noch ein Arbeitszimmer war, bald ein Spielzimmer sein soll und aktuell die Vorhölle ist. Und apropos dieses Zimmer: Wann finde ich endlich die Zeit, dort effizient weiter zu arbeiten? Eigentlich freue ich mich auf die Zimmergestaltung, aber das Chaos macht mich wahnsinnig.

Meine Gedanken driften unaufhaltsam zu allen negativen und unerledigten Dingen: Das Handy seit Wochen kaputt und die Datenrettungsfirma, die Fotos und Videos vom Söhnchen wieder herstellen soll, meldet sich nicht. Oben im Wohnzimmer stapelt sich die saubere Wäsche, aber das teure Treppenrollo, was der Mann vor wenigen Tagen installiert hat, ist Murks, so dass ich mich nicht traue, den Babysohn kurz oben allein auf seiner Decke spielen zu lassen. Was, wenn er unter dem Rollo durch kommt, wie es eine Freundin gestern aus ihrem Bekanntenkreis erzählt hat? Ein Albtraum. Also müssen wir das teure Ding wieder abbauen, zurück schicken und uns was neues aussuchen, bestellen und anbringen. Weihnachtsgeschenke fehlen auch noch jede Menge. Plätzchen backen? Keine Chance, dabei würde ich so gerne. Aber unerledigte Mails warten auf Antwort, der Wäschekorb quillt über und die Großeltern wollen besprechen, welches Laufgitter sie für den Weihnachtsurlaub kaufen sollen. Auf dem Balkon liegt seit zwei Wochen Tannengrün, das ich zu Sträußen binden und überall aufstellen wollte. Der Babysohn braucht dringend eine neue Mütze, um die ich mich kümmern muss. So gerne würde ich mal wieder bloggen, an guten Ideen mangelt es nicht, aber an Zeit. Ich sehe mich um, die Küche ist schmutzig, das Söhnchen quengelt. Der Mann kommt fröhlich pfeifend aus dem Bad und  in dem Moment brennt mir die Sicherung durch:

„Kannst du nicht mal das Fenster aufreißen? Die ganze Bude ist voller Dampf! Und außerdem kann ich nicht mehr und ihr nervt mich!“ Erstaunte Gesichter, der Babysohn fängt an zu weinen. Ich schäme mich und nehme ihn schnell auf den Arm, und der Mann nimmt uns beide in den Arm. Blöde selbstmitleidige Kuh, denke ich. Alles selbstgemachte Luxusproblemchen. Puh.

Später, nachdem der Mann zur Arbeit gefahren ist und das Baby und ich endlich gegessen haben, gehen wir raus an die Isar. Im Laufe des Tages ist es erheblich kälter draußen geworden. Die Luft ist feucht und riecht nach Winter. Die Isar fließt ruhig dahin, der pinke Abendhimmel spiegelt sich im kalten grünen Wasser, ein paar Enten gleiten langsam stromabwärts. Wunderschön. Der Babysohn sitzt ruhig in seiner Trage, schön warm an meinem Bauch. Wir beobachten spielende Hunde auf den Wiesen, ich zeige ihm die Enten. Am Wehr, wo das Wasser rauscht und gurgelt, spüre ich, wie meine Sorgen und mein Stress sich aufgelöst haben, mit den Fluten weggespült worden sind. Ich atme tief durch, ganz tief. Was habe ich es gut, denke ich.

sunset-795709_640
Tief durchatmen – alles ist gut. (Bild: Pixabay)

2 Gedanken zu “Tief durchatmen

Hinterlasse einen Kommentar